"Kunst ist ein mächtiges Ventil für unser Unterbewusstsein": Sopranistin Silvia Pepe

Auf Facebook hat du kürzlich ein Zitat des Anthroposophen Rudolf Steiner gepostet: "Wenn der Mensch in der Gegenwart eines Kunstwerkes durch die äußere Form, Farbe oder einen Ton mit Phantasie und Gefühl in die geistigen Substrate desselben eindringt, so werden die Impulse, die das Ich von ihm empfängt, tatsächlich den Ätherleib erreichen. Wenn man diesen Gedanken vertieft, kann man die ungeheure Bedeutung der Kunst für die gesamte menschliche Entwicklung erahnen." Was war der Auslöser dieses Zitat zu posten?

"Meiner Meinung nach können Menschen ohne eine tiefe Introspektion - und wenn sie in der Kunst nicht extrovertiert sind - nicht die Gesamtheit ihres Geistes und ihrer Seele genießen. In diesem Sinne denke ich, dass Kunst auch eine Art Verbindung zu unserer Spiritualität ist, die es uns ermöglicht, etwas in allgemein anerkannte Codes zu übersetzen, das auf andere Weise nicht ausgedrückt werden kann."

Wie würdest du die Bedeutung der Kunst, in deinem Fall der Musik, beschreiben?

"Das ist eine schwierige Frage. Kunst - Musik, Bilder und Gedichte - ist ein integraler Bestandteil von mir. Ich kann nicht über mich selbst nachdenken ohne den gesamten künstlerischen Weg, der mich dazu bringt, all meine Visionen und Gefühle auszudrücken; manchmal ist es eine Sublimierung, manchmal manifestiert es sich auf rohe und heftige Weise. In den letzten Jahren habe ich beschlossen, in einem Performance-Bereich zu arbeiten, in dem ich all diese Medien miteinander vermische, um einen vollständigen Ausdruck meiner selbst zu erreichen, in dem ich ein Gleichgewicht finde und indem ich andere Menschen und Seelen einbeziehen und umarmen kann. Ganz allgemein gesprochen denke ich, dass Kunst der höchste Ausdruck der Seite ist, die wir von unserem Geist zeigen wollen, aber vor allem ist sie ein mächtiges Ventil für unser Unterbewusstsein." 

Wird die Kunst heute in ihrer Bedeutung, wie du sie verstehst, gewürdigt?

"Kunst wird hauptsächlich als Unterhaltung oder als gesellschaftlicher Anlass behandelt, und Künstler werden oft als "Hobbyisten" misshandelt. Das Schlimmste ist, dass die Medien oft mittelmäßige Leute als die Größten darstellen, weil sie nicht die Kultur und das Wissen darüber haben, was echte Künstler tun. Es geht nicht um Geld, und ich bin absolut nicht neidisch auf ein so einfaches Ergebnis, aber die Realität zeigt, wie die meisten Menschen heute denken. Hoffentlich haben einige Künstler ein gutes Gewissen, was die Bedeutung von Kunstwerken angeht. Ich habe das Vergnügen, mit einigen von ihnen zusammenzuarbeiten."

In Deutschland gibt es aktuell massive Kürzungen in der Kunst und in der Bildung. Wie sieht es in Italien aus, du lebst in Mailand, gibt es dort genug Budget für die Kunst?

"Es gibt eine Menge guter Musiklehrer an den Schulen, aber sie sind nicht in der Lage, angemessen und würdig zu arbeiten. Ich glaube, das liegt daran, dass - wie ich schon erwähnte - Kunst oft als Freizeitbeschäftigung missverstanden wird oder "den langweiligen ernsten Leuten vorbehalten ist". Andererseits wird die Musik von den "Populären" - zum Beispiel im Fernsehen - jeden Tag banalisiert. Die Leute sind es gewohnt, einfach zuzuhören und sich nicht in Kunstwerke zu vertiefen. Über Musikhochschulen kann ich nur gemischte Gefühle äußern, denn, wenn man das Glück hat, gute Professoren zu haben und von ihnen ausgewählt zu werden, kann man die beste Ausbildung erhalten. Aber es gibt auch sehr inkompetente und konservativ-anachronistische Lehrer, wie es auch an anderen Orten der Fall ist. In Mailand haben wir einige gute Konzertsaisons und glücklicherweise auch ein gutes Budget, aber wir haben auch viele Budgetkürzungen im Bildungsbereich und in den Stiftungen. Ich denke, in anderen Ländern werden die Interessen und der Status von Künstlern viel mehr respektiert."

Die Welt ist in großem Aufruhr seit der Covid-Pandemie. Welche Rolle kann die Kunst hier spielen? 

"Ich denke, dass Kunst auch als sozialer Kommentator fungieren kann, um den Menschen die Augen für die großen Probleme der Welt zu öffnen. Diese Funktion hatte sie schon immer, aber es liegt an den Einrichtungen, engagierte Künstler zu fördern, damit sie ein größeres Publikum erreichen."

@SilviaPepe

In welcher musikalischen Zeit fühlst du dich zu Hause? 

"Ich liebe die zeitgenössische Zeit, es geht darum, den Ort zu finden, an dem die Kunst richtig gewürdigt wird. Ich bin auch Opernsängerin, und mein Repertoire hat seine Wurzeln im späten 18. Jahrhundert, also fühle ich mich auch mit dieser Zeit verbunden. Ich fühle mich vor allem bei Puccini und russischem Repertoire zu Hause."

Welches Werk fordert dich im Moment heraus?

"In beschäftige mich mit einer totalisierenden Performance-Oper im Teatro Valli in Reggio Emilia, und gleichzeitig bereite ich eine Installation in der Villa Reale in Monza vor, in der ich singen, improvisieren und meine Skulpturen und digitale Kunst in meinem ersten Multimedia-Werk ausstellen werde."

Was war für dich die größte Herausforderung auf deinem musikalischen Weg?

"Zu verstehen, dass ich nicht nur eine Opernsängerin bin, sondern eine komplexe Künstlerin, und mir zu erlauben, meine Talente in offizieller "Multipotential"-Arbeit zu erforschen, zu schauspielern und all meine tiefsten Gefühle ohne ein Schutznetz loszulassen. "

...und deine schönste Erfahrung?

"Mich selbst in einer extremen stimmlichen Erweiterung zu erleben - durch Metal, Weltmusik, Schamanismus - wie ich es noch nie zuvor getan habe, und zu erkennen, dass meine Texte, meine Skulpturen und vor allem mein Körper dieselbe Energie meiner Stimme sind, die sich in einer anderen Form materialisiert. Alles ist miteinander verbunden und verschmolzen." 

Auf Soundcloud kann man hören, dass dich auch der experimentelle Bereich fasziniert. 

"Ja, auf Soundcloud kann man zwei Seiten meiner Kompositionen finden, von elektronischen bis zu akustischen, fast alles komponierte zeitgenössische Musik, ausgehend von der Transkription körperlicher Improvisation."

Was ist dein musikalisches Ziel?

"Ich habe mit dem Ensemble Intercontemporain zusammengearbeitet und würde diese Erfahrung gerne wiederholen. In der Opernwelt würde ich gerne weiterhin in Theatern auftreten, vielleicht Salome und Manon Lescaut. Meine Träume konzentrieren sich auch auf die Schaffung von immersiven "Opern" in Galerien und Theatern, wo ich die Künstler auswähle und auch mich selbst einbeziehe."

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