Saitenvirtuosin Margarita Escarpa: Jurymitglied bei „Caneres“

Preisgekrönte Saitenvirtuosin, so beschreibt die Elbphilharmonie die spanische Gitarristin Margarita Escarpa in ihrer Konzertankündigung. Das ist noch untertrieben: Margarita zählt längst zu den wichtigsten, klassischen Gitarristinnen auf der Weltbühne. 2021 wurde sie mit einem der bedeutendsten Preise geehrt, dem »Guitarrista José Tomás 2021 Villa de Petrer«. Aktuell ist Margarita Escarpa Jury-Mitglied des internationalen Musikwettbewerbs “Caneres”, der gerade in Wien Premiere feiert. Camilla Hildebrandt hat mit Margarita gesprochen.

Saitenvirtuosin Margarita Escarpa: Jurymitglied bei „Caneres“
Saitenvirtuosin Margarita Escarpa

Margarita, du zählst zu den international renommiertesten Gitarristinnen, lehrst an der Universität von Vigo in Spanien und seit 2021 an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien. 1992 hast du das Madrider Konservatorium mit Auszeichnung abgeschlossen und zur gleichen Zeit einen Universitätsabschluss in Mathematik absolviert, eine beeindruckende Kombination.

"Für mich war es eine perfekte Verbindung. Musik ist wunderschön, Mathematik macht Spaß, das ist eine großartige Kombination. Es war sehr bereichernd, die Disziplin zu haben, beide Dinge zu kombinieren, zu wissen, wie ich meine Zeit am besten nutzen kann, um bei allem effektiv zu sein. Das führte zu einer Ausbildung, die man ein Leben lang nutzen kann. Denn Mathematik ist überall im Leben."

Deine Interpretationen von Bach, Piazzolla, Debussy oder dem Brasilianer Heitor Villa-Lobos werden von der Fachkritik hoch gelobt. Manche Musiker sagen: Man muss die Stücke so spielen, wie sie geschrieben sind. Andere meinen: Das Wichtigste ist die Art und Weise, wie ich das Stück empfinde. Wie empfindest du das?

"Es ist ein bisschen von beidem. Man muss sich eher an die Idee des Komponisten halten als an die Partitur, denn in der Partitur gibt es viele Anhaltspunkte dafür, was der Komponist wollte, aber alles ist nicht vorgegeben. Bei Bach ist es allerdings besonders schwierig. Ganz gleich, wie viel man darüber liest und recherchiert, es ist nicht einfach zu wissen, wie er seine Kompositionen umgesetzt haben wollte. Ich versuche also, mich mit dem auseinanderzusetzen, was ich in der Partitur sehe, mir vorzustellen, was Bach wollte, und zudem meine eigene Version einzubringen. Denn es sollte immer auch etwas Persönliches dabei sein, sonst wäre es nicht so interessant, Musik zu hören. Jeder Mensch hat eine spannende Persönlichkeit, Freundlichkeit, Kreativität, all das spiegelt sich unweigerlich in der Art und Weise wieder, wie man die Musik interpretiert und spielt. Im Moment ist mein Lieblingswerk ein wunderschönes, sehr einfaches und kurzes Stück, "Tristorosa" von Heitor Villa-Lobos, im Original für Klavier komponiert. Er schrieb es 1910 unter dem Pseudonym "Epaminondas Villalba Filho". Ich habe es vor etwa fünfzehn Jahren zum ersten Mal gehört, es wurde kaum gespielt. Ich habe es für Gitarre neu arrangiert und spiele es nun wieder. Es ist ein gutes Beispiel dafür, dass Schönheit auch im Einfachen und nicht unbedingt im Komplizierten zu finden ist."

Der Einfluss des Lehrers und die Technik sind grundlegend, sagt Bandoneonist Omar Massa, der als Nachfolger von Astor Piazzolla gilt. Aber dann müsse man seine eigene Stimme finden. Was hat dich in diesem Prozess geprägt?

"Da gibt es sehr viel, was mich prägte. Zunächst hatte ich das Glück, sehr unterschiedliche und vielfältige Lehrer zu haben. Dann wurde mir klar, dass man sich im Grunde einen Cocktail aus allen Erfahrungen zubereiten muss. Ich musste meinen eigenen Weg finden. Zudem hatte ich mehrere Verletzungen und Unfälle, bei denen ich merkte, wie sehr ich diesen Beruf liebe. Ich musste lange Zeit mit dem Spielen aufhören. Und als ich die Gitarre wieder in die Hände nahm, galt es erneut herausfinden, wer ich bin, meine Persönlichkeit und Kreativität entwickeln, ohne dabei die Regeln zu vergessen. Ich bin sehr akademisch, aber mit den Regeln kann man viel Kreativität entfalten und ein Gleichgewicht zwischen beidem schaffen. Ich sehe das auch bei den Studenten und Studentinnen. Wir Lehrer müssen sehr vorsichtig sein, denn der Einfluss auf sie ist immens. Wir dürfen uns nicht in ihre Entwicklung einmischen. Jeder von ihnen ist nicht nur ein Instrumentalist, sondern hat auch ein persönliches Leben, das die Art und Weise ihres Spielens beeinflusst."

Du bist aktuell Jury-Mitglied des neuen, internationalen Musikwettbewerbs "Caneres", an dem Musiker aus über dreißig Ländern teilnehmen. Unter anderem in den Kategorien Piano, Gitarre, Gesang, Tanz, Harfe oder Komposition. Zusammen mit Dozenten wie Prof. Dorian Leljak oder Prof. Mark Timmerman von der New York University werden die Gewinner bis zum 05. September 2022 ausgewählt. Der Wettbewerb findet online statt, eine Herausforderung.

"Die Herausforderung ist in der Tat enorm, denn bei diesem Wettbewerb müssen die Teilnehmer sowohl in der ersten als auch in der zweiten Phase beweisen, dass sie gute Leistungen erbringen. Sie müssen sowohl bei den Videoaufnahmen sehr gut sein, als auch auf der Bühne, wenn sie ins Finale kommen. Ich denke, dass ein Wettbewerb, der diese beiden Aspekte kombiniert, sehr vollständig und pädagogisch wertvoll ist. Eine CD aufzunehmen ist nicht dasselbe wie ein Konzert zu geben. Die Aufnahme von Videos hilft sehr dabei, sich weiterzuentwickeln, weil man auf andere Dinge achten muss, auf Genauigkeit, auf die Art, wie man sich bewegt, auf den körperlichen Ausdruck."

Wie sieht deine Arbeit als Jurymitglied aus?

"Ich versuche, nicht zu sehr auf die Qualität der Aufnahme zu achten. Denn jeder Teilnehmer hat andere technische Möglichkeiten. Was man nicht sehen kann, ist der Auftritt selbst, wie die Person die Bühne betritt, wie sie grüßt, obwohl das normalerweise keinen großen Stellenwert hat, aber es beeinflusst mich wahrscheinlich doch mehr, als ich denke. Man achtet mehr auf die Fehler, so wie bei der Aufnahme einer CD. Ausdrucksstärke ist sehr wichtig, aber bei einer Aufnahme ausdrucksstark zu sein, ist wesentlich schwieriger, weil man nicht vor einem Publikum spielt, deshalb schätze ich das sehr. Dann die Auswahl des Repertoires: Eine Vielfalt von Stilen zu haben, zu zeigen, dass man sowohl ausdrucksstarkes Repertoire als auch virtuoses Repertoire beherrscht, ist ebenso wichtig. Die Gitarre ist für mich ein Farbinstrument. Wenn Sie das nicht nutzen, verschenken sie die Möglichkeiten des Instruments."

Viele Musiker sagen, dass es heutzutage schwierig ist, von der Musik zu leben. Manche entscheiden sich deswegen für den kommerziellen Weg und sagen: Ich mache, was der Markt oder das Publikum möchte. Andere sagen: Wenn ich spiele, was der Markt will, bin ich nicht ich selbst. Was sagst du dazu?

"Das ist eine sehr gute Frage. Ich denke, dass es, wie bei allem anderen auch, auf das Gleichgewicht ankommt. Ich habe mich nie verkauft. Aber dieses Wort ist ehrlich gesagt nicht das richtige, ich habe immer versucht, mir treu zu bleiben. Aber ich respektiere absolut andere Wege, auch den kommerziellen, also zu spielen, was die Öffentlichkeit will. Im Grunde mache ich das ja auch. Wenn ich die Bühne betrete, möchte ich, dass das Publikum zuhört, dass es mag, was ich spiele. Aber ich tue es auf der Grundlage meines eigenen Geschmacks, meines Repertoires, meiner Art zu sein. Heute habe ich mir zum Beispiel die Aufnahmen einiger Teilnehmer angehört, und sie sind sehr gut in all den Aspekten, die ich angesprochen habe. Man kann sehen, dass sie mehrere Aufnahmen gemacht haben, was das Schwierigste ist. Also musikalisch gesehen, war es wunderbar, ihnen zuzuhören. Jeder hatte etwas zu sagen, es war sogar ein 12-jähriger Junge dabei, was großartig ist. Er spielt auf eine sehr persönliche Art und Weise und mit viel Leidenschaft."



Das junge Publikum kennt heutzutage eher Talentwettbewerbe im Fernsehen, als professionelle Musik-Wettbewerbe mit renommierten Dozenten. Müsste es mehr Wettbewerbe wie "Caneres“ geben?

"Wettbewerbe sind immer positiv, denn sie sind ein motivierendes Element. Ich mochte zwar nie Wettbewerbe, aber, wenn ich teilgenommen habe, hat es mir sehr geholfen, mich zu verbessern, mehr zu lernen, ich war motiviert. Ich sehe auch, dass sie für die Studenten und Studentinnen durchaus wertvoll sind. Sich zu messen, kann sehr gut sein, ebenso die Möglichkeit, andere kennenzulernen, soziale Beziehungen zu knüpfen, andere Wege zu finden, das Repertoire zu verstehen. Das ist sehr bereichernd."

Ein Musikwettbewerb als Begegnungsplattform?

"Ja, die Idee ist, jungen Menschen zu helfen, bekannter zu werden und von einer größeren Jury gehört zu werden. Wenn ich in ein paar Jahren einen von ihnen bei einem Konzert sehe, werde ich auf jeden Fall hingehen, weil ich ihre Art zu spielen mag. Wenn sie nicht an diesem Wettbewerb teilgenommen hätten, hätte ich sie möglicherweise nie kennen gelernt. Und die Preise beinhalten auch Interviews mit den Newcomern. Das ist ein Novum und sehr wichtig."

Margarita, wo werden wir dich das nächste Mal live erleben?

"Im Oktober spiele ich in Deutschland, beim "10. Hamburger Gitarrenfestival". Im November spiele ich in Ungarn und später in Wien."

Was würdest du jungen Musikern empfehlen, die mit ihrer Musik und Stimme gehört werden wollen?

"Einer der besten Ratschläge, den man geben kann und der schwierig zu befolgen ist, ist, sich nicht ständig mit anderen zu vergleichen. Das ist unvermeidlich, weil wir sehr wettbewerbsorientiert sind. Aber ich denke, es ist das Beste, sich als Individuum zu entwickeln. Ich sehe auch eine starke Technikbesessenheit. Man sollte versuchen, ein Gleichgewicht zu finden. Zudem sollte man beim Spielen kommunikativer mit dem Publikum sein. Dann gibt es noch etwas, das zumindest im Gitarrenbereich nicht oft verwendet wird, aber beim Üben sehr hilfreich ist: Spielen mit einer Augenmaske. Wir denken immer nur an die Hände, sind uns aber nicht darüber im Klaren, dass es der ganze Körper ist, der das Instrument spielt. Wenn man sich eine Maske über die Augen zieht, kann man besser fühlen, was in einem selbst vorgeht. Bei den Studenten, die das praktizieren, funktioniert es sehr gut. Und noch etwas: Eben weil wir so wettbewerbsorientiert sind, bemerken wir immer nur die schlechten Dinge, unsere Fehler, und denken kaum an unsere Erfolge. Wir sollten aber etwas intelligenter sein, uns selbst objektiver einschätzen und versuchen, nicht nur das Schlechte, sondern auch das Gute an uns zu sehen."

Hier geht es zur Webseite von Margarita Escarpa